Sonntag, 27. Dezember 2015

Tender loving care

Dieses Prinzip wurde mir während meines Veterinärmedizinstudiums zur Versorgung von Wunden beigebracht. Man kann alles für eine Wunde tun, das Wichtigste ist: Tender loving care.
Mein ganz persönliches Weihnachtsmärchen hat bereits im April angefangen, als ich diesen verwahrlosten, stinkenden Vierbeiner, der irgendwann mal ein stolzer Drahthaar war, zu mir geholt habe.
Freya, so heißt das Tier, ist mein Märchen. Phoenix from the ashes. Was ich miterleben durfte, und wovon ich immer wieder berichtet habe, ist ein Märchen. Bis anhin gab es in unserer Familie nie Hunde aus zweiter Hand, schon gar nicht so üble Fälle. Aber dieses Mädel ist anders, ganz anders. Sie stellt alles auf den Kopf.
Sie kam als eine einzige Wunde, die Seele krank, aufgeregt, hyperig, manchmal fast schon fiebrig. Von der Welt manchmal schier erschlagen, kotzte sie den letzten Mageninhalt in unser Auto und verweigerte fortan das Fressen. Haarlos von den Flanken bis an die Ohren, mit Milben und geschundenen Füßen, die vor lauter Filz kaum noch stehen konnten und zum Teil schon blutig waren.

Wie auch immer ich mich in diesen Hund verlieben konnte. Der Mann in meinem Leben tat das einzig Richtige und stellte nie in Frage, warum ich diesen Hund ins Auto gepackt habe. Er stellte nie in Frage, warum er aufs Sofa umziehen musste, denn der einzige Liegeplatz, den dieser Hund annahm, war mein Bett. Er stellt bis heute nie in Frage, warum ich viel, viel Zeit mit diesem Hund verbringe, der in den Augen einiger sowieso wertlos ist. Manchmal verstehe ich es selbst nicht ganz, aber ist nicht genau das der Zauber von Märchen?

Es wäre alles so viel einfacher gewesen, wenn ich sie dort gelassen hätte. Aber das passiert in Märchen eben auch nicht. Wie blauäugig und wie dumm ich war, bemerkte ich später und es wurde mir - märchenhafterweise - nie zum Verhängnis. Ich glaubte immer an diesen Hund und habe nie daran gezweifelt, dass sie gesund werden würde. In ihrer Seele und am Körper. Ich bekam nach und nach Geschichten von Drahthaar aus zweiter Hand mit, aber so war das Mädel nie! Sie biß nicht, war nicht böse. Sie reihte sich - manchmal zähneknirschend - in die letzte Reihe des Rudels ein und wollte einfach nur allein gelassen werden. Fürchterlich ernst und nie aufgedreht, sondern immer völlig kontrolliert...manchmal viel zu überlegt für einen dreijährigen Hund. Ich erzog mein Mädel sehr intuitiv, machte sie zu meiner Handtasche und zeigte ihr drei Monate lang die wilde Welt. Wir wohnten mitten in der Stadt, sie musste alles nachholen, was sie an Eindrücken nicht kannte. Ich habe in meinem Leben noch keinen Hund so tief schlafen sehen, wie dieses zarte Mädel. Eine großrahmige Hündin ist sie bei Weitem nicht, sondern viel eher fein, drahtig, zäh und stark, wie ein Ochse. Sie nahm alles hin: eine in Schichten arbeitenden Besitzerin, einen rotzfrechen Beagle, der ihr das Futter, das sie nicht nehmen wollte, wegfraß. Und immer wieder sahen mich ihre starken Bernsteinaugen an, als wollten sie mir danken. Sie lernte, in Vorlesungssälen zwischen tippenden Macbooks zu schlafen und hielt manchen Vortrag mit mir vor meinen Kommilitonen. Da meine Hunde die Erlaubnis besitzen, mit zu den Veranstaltungen zu gehen, musste ich sie nie geheim halten. Abgesehen davon ist sie so handlich wie ein Klavier, verglichen mit meinem zu heiß gewaschenen Beaglemädchen. Anfangs war sie überrascht über die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde, aber sie gewöhnte sich an ihre schnell wachsende Fangemeinde. Ich bin mir sicher, dass kein anderer Hund dieser Welt einen solchen Schlafzimmerblick hat.

An Jagd war lange nicht zu denken, nicht einmal an Gehorsam. Sie war einfach dabei und entdeckte ihre Marotten. Keine Katze ist vor ihr sicher und bei Sichtkontakt jodelt sie - auf den Hinterbeinen stehend - das ganze Quartier zusammen. Obwohl sie sich standhaft weigerte zu apportieren, was ich ihr gab, brachte sie mir jeden Igel, dem sie habhaft werden konnte. Lebendig versteht sich! So freundlich wäre sie mit den Katzen nicht umgegangen, wenn ich sie gelassen hätte.
Nur einmal zeigte sie bisher, dass es in ihrem Leben nur einen Chef gibt: Beute gibt sie mir und nur mir. Das erfuhr eine Freundin von mir, als sie ihr ein geklautes Rehgehörn abnehmen wollte.
Es dauerte, bis ich das erste, ernsthafte Training beginnen konnte. Es war eine Gratwanderung für beide; schwierig, schön. Jeder Schritt voran begleitet von vier Schritten zurück. Beim ersten Spiel hätte ich fast geweint, beim ersten Apport wars wirklich so weit. Es war hart. Alles das, was ein junger Hund anbietet, kam nicht, ...nichts! Zwischenzeitlich ging sie mir verloren, fand wieder heim, bange Stunden voll Angst und Zweifel. Was habe ich falsch gemacht? Je länger ich mit dem Hund arbeitete, desto mehr brauchte und verlangte er starke Führung,... die ich bisher nie in dieser Form angewendet habe - nie böse, aber immer bis ins Mark konsequent. Niemals hat mich ein Hund so beschützt, mir niemals so viel abverlangt, aber auch nie so viel gegeben.

Dieser Hund ist mein Weihnachtsmärchen, endlich ist sie zugänglich geworden in ihrem Schneckenhaus. Seit drei Tagen spielt sie tatsächlich mit unseren anderen Hunden. Sie spielt mit mir, wird ein albernes, junges Ding. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich über einen Hund freuen würde, der sich auf eine Hundedecke legt, der albern ist. Aber mein Weihnachtsmärchen wird wahr. Ich darf und kann diesen unglaublichen Hund in seinem Haus besuchen, sie lässt mich ein. Das, worauf ich immer gehofft habe, wird wahr. Es entsteht ein starkes Band zwischen uns, ehrlich und hoffentlich unverbrüchlich. Sie durfte die ersten Drückjagden mitlaufen. Sie findet Wild und hält trotzdem Kontakt zu mir, bei jedem anderen Hund würde ich das als normales Verhalten quittieren, aber bei ihr war nichts normal.
Nun liegt sie auf ihrem pinken Mädchenkissen, das ich ihr schon lang hingelegt habe und ist noch immer unsicher, ob das nun richtig so ist, was sie tut. War sie lange Zeit der Meinung, dass die Annehmlichkeiten der anderen Hunde niemals für sie gelten könnten, so sieht das heute anders aus. Eins ist geblieben, sie lässt mich nie aus den Augen, wenn ich sie brauche, dann steht sie da. Sei es auf der Jagd, im Training oder im Alltag. Tender loving care, ich habe sie mit aller Liebe, die ich aufbringen konnte, gepflegt, geherzt und beschützt.

Freitag, 11. Dezember 2015

Mein schönstes Jagderlebnis

Wenn mich demnächst jemand nach meinem schönsten Jagderlebnis fragt, werde ich definitiv mein gestriges nennen.

Wie so oft an einem Sonntagmorgen beschloss ich, schon morgens früh am Abend ins Revier zu fahren, um mich zum bereits sechsten mal auf meinen ersten Rehbock anzusetzen.
Dieser Bock war ein schwaches Stück, allerdings mit 3 Stangen auf dem Haupt.
Er hatte seinen Einstand unglücklicherweise in der Nähe einer vielbefahrenen Bundesstraße und wurde von unserem Jagdaufseher schon des Öfteren direkt an der Straße gesichtet.
Je weiter der Nachmittag vorrückte und je mehr Wolken am Himmel aufzogen, um schlechtes Wetter zu verkünden, desto mehr ließ leider auch meine Motivation für den Abendansitz nach.
Nachdem ich mich jedoch aufgerafft hatte, eine Runde mit meinen beiden Hunden zu drehen, kam doch noch die Sonne durch und mit ihr kam auch meine Motivation zurück.
Zu Hause angekommen habe ich mich schnell umgezogen, meine Sachen gepackt und bin losgefahren.
Mein Ziel war ein kleiner, provisorischer Erdsitz am Rande einer großen Wiese.
Als ich jedoch ankam, traute ich meinen Augen nicht, da ein riesiger Holzstapel direkt vor meinem Sitz positioniert worden war.
Die Drahtseile meiner Nerven spannten sich langsam und ich überlegte, auf einen benachbarten Sitz auszuweichen.
Aus einer Eingebung heraus entschied ich mich jedoch gegen den „Umzug“ und begab mich an die Arbeit, den Sitz neben den Holzstapel zu befördern.
Einige Flüche und genervte Blick meines Zwergrauhaardackels später war alles bereit. Da ich eh schon so laut gewesen war, sparte ich mir das mühselige Anbringen des Tarnnetzes und ließ mich direkt nieder.
Nach kurzer Zeit in trauter Zweisamkeit machte mir ein Eichhörnchen, welches permanent über meinem Kopf herumsprang, zu schaffen. Das Ästeknacken war sicher kilometerweit zu hören.
Na toll, wäre ich doch besser zu Hause geblieben!
Aber was wäre die Jagd ohne unverhoffte und spannende Erlebnisse?!
Nach ca. einer Stunde, in der auf der Wiese rein gar nichts passierte, schrieb ich meinem Vater noch eine Nachricht, dass absolut „ tote Hose“ sei.
Kurze Zeit später blickte ich jedoch auf, und da stand er: mein Dreistangenbock. Natürlich witterte auch mein Hund den nur ca. 20 m entfernten Rehbock und versuchte seinen Blickwinkel um die Ecke des Holzhaufens zu verbessern. Ich, intelligent wie ich war, hatte natürlich vergessen, den kleinen Rabauken festzumachen. Ganz langsam versuchte ich also, meinen Hund festzuhalten und bat ihn mit leisem Zischen, sich still abzulegen. Der Bock hatte dies natürlich wahrgenommen und reagierte äußerst vorsichtig. Ständiges Sichern wechselte sich mit Scheinäsen ab. Das alles auf nur 20m.
Und da war sie, meine Chance! Der Dreistanger stand breit. Anvisieren, Entsichern und Peng.
Es folgte eine kurze Flucht zum Waldrand, in dessen Schutz er dann zusammenbrach. Große Erleichterung machte sich in mir breit. Mein Hund, der alles aus nächster Näher mitbekommen hatte, saß neben mir und schaute mich aufgeregt an.
Langsam packte ich meine Jagdausrüstung zusammen und rief danach meinen stolzen Vater und unseren Jagdaufseher an, die sich sofort auf den Weg zu mir begaben.
Danach machte ich mich auf den Weg zu meinem ersten, erlegten Rehbock.
Ich denke jeder Jäger, der die Jagd mit wirklicher Leidenschaft ausführt, kennt das bewegende Gefühl, wenn er an ein erlegtes Tier herantritt.
Meiner Meinung nach ist es einfach wichtig, sich kurz die Zeit zu nehmen, um in sich zu gehen und dem Lebewesen den nötigen Respekt zu erweisen.
Besonders, wenn es der erste Rehbock ist. Wenn man dann noch das Glück hat, dass dieser ein Dreistangenbock ist, ist es ein Erlebnis, welches man nie mehr vergessen wird und wofür man dankbar sein sollte.
Der Schuss war ein sauberer Küchenschuss, was meine Freude nur noch mehr steigerte, da es der erste Schuss auf lebendes Wild mit meiner Sauer 101 Artemis war.
Was mir nach dem Erlebnis aber im Kopf geblieben ist, war der Spruch meines Vaters: "Und ist der Bock auch noch so fett, er kommt dem Jäger nicht ans Bett." Diesen hält er mir immer vor, wenn meine Motivation mal wieder zu schwinden droht.

Waidmannsheil

Theresa